Aktuell

Die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns

Ein Blick auf die akuelle Wertediskussion
Liebe Geschäftsfreunde, sehr geehrte Damen und Herren,

Seit der Finanzkrise ab Ende 2008 wird die Frage nach Werten im Geschäftsleben in ziemlicher Breite diskutiert, ohne dass heute verbindliche Ergebisse vorliegen. Obwohl wir in Deutschland in diesem Jahr die Krise scheinbar abgehakt haben (war das was?) und wieder auf dem Wachstumspfad eingeschwenkt sind, verspüre ich eine verbreitete latente Unsicherheit über die Labilität des weltweiten Finanzsystems, deren Akteure mit gleichen Produkten und Verhalten wie vor der Krise agieren. Hinzu kommt ein steigendes öffentliches Bewusstsein für gegenwärtige Schuldenentwicklung fast aller öffentlichen Haushalte weltweit. In der gewerblichen Wirtschaft steigt die Sehnsucht nach Integrität und Verbindlichkeit aller in der Lieferkette eingebundenen Personen und Unternehmen, schon alleine um im internationalen Wettbewerbe bestehen zu können. Die Wertefrage bleibt aus diesen Gründen aktuell.

Nun sind Werte nicht gute Vorsätze, die man lediglich zu medienwirksam zu Papier bringen muss. Werte sind Prinzipien nach denen Unternehmer und ihre Führungskräfte ihre täglichen Geschäfte führen. Da geht es darum, wie man mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, der Öffentlichkeit umgeht und wo Maxime und Grenzen für den konkreten Fall definiert sind. Im Grunde sind Werte Lebensfragen, welche Ausdruck der Persönlichkeit als Ganzes sind und das Verhalten natürlich auch im Privatbereich bestimmen, z.B. die Wertschätzung der Ehefrau und der Kinder im Verhältnis zum Geschäft und der eigenen Person.

Eigentlich wäre es gerade jetzt eine ganz besondere Chance der beiden Hauptkirchen, ihre auf die Gottes- und Nächstenliebe gegründete Botschaft als ihre Kernkompetenz in die aktuelle Wertediskussion einzubringen. Seltsamerweise herrscht dort zu diesem aktuellen Thema eine merkwürdige Ruhe, die ich auf die Selbstbeschäftigung mit internen Problemen zurückführe - Fehlverhalten von Amtsträgern da, Missbrauchsfälle dort.

Interessant ist, dass derzeit ausgerechnet Akteure der Wirtschaft alte praxisbewährte Prinzipien wiederbeleben, die Tugenden des Ehrbaren Kaufmanns nämlich. Dieser Begriff wurde erstmals vom Lübecker Bürgermeister und Hansekaufmann Hinrich Castorp (1420-1488) auf einer Tagung der Hanse geprägt.

Hanse 2 groß

Mit Verweis auf die Einhaltung der Zehn Gebote ermahnte Castorp die Vertreter des freien Städtebündnisses, ihren Handel stets ehrbar, also im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott zu betreiben, letztlich auch der Wahrung des eigenen nachhaltigen Wohlstands wegen. Dabei hatte der Beruf des meist nicht sesshaften, schutzlos lebenden Kaufmanns bis in das hohe Mittelalter hinein einen denkbar schlechten Ruf, der auf die Verurteilung der Zinsnahme durch Staat und Kirche zurück ging (Lukas 6,35: Liebt eure Feinde, tut Gutes und leiht, wo ihr nicht dafür zu bekommen hofft"). Aus Sorge um die eigene Existenz und dem Schutz vor Machtmissbrauch seitens der Herrschenden schlossen sich allmählich Kaufleute zusammen, entwickelten eigene Beweis- und Gerichtsverfahren gestalteten einen Verhaltenskodex, der von jedem Mitglied einzuhalten war. Auf diese Weise wandelte sich der uneinheitlich agierende, reisende Kaufmann zum ehrbaren, sich in Gilden organisierten Kaufmann, der auch den Städten zu Wohlstand und Machtzuwachs verhalt.

Erst im hohen Mittelalter, das war auch die Zeit der großen italienischen Handelsstädte, erfuhr das Evangelium durch Thomas von Aquin eine neue Interpretation, die man auch als Geburtsstunde des Kapitalismus ansah: Er war der Meinung, dass die Leihe von Geld ein Risiko darstellt, das angemessen honoriert werden müsste und rechtfertigte einem angemessenen Gewinn für die Investition von Geld in eine geschäftliche Gelegenheit, selbst wenn dies nicht mit persönlichem Arbeitseinsatz verbunden war. Thomas von Aquin betonte dabei immer die Sozialpflicht von Kapitalgewinnen zu Gunsten von Armen und Kranken. Dies fand reichlich Niederschlag in Spenden und Stiftungen der Kaufleute, ja sogar in Gott zugedachte vorrangig zu bedienende Kapitalkonten des eigenen Unternehmens.

Etwa gleichzeitig schrieben auch die großen italienischen Handelsstädte praktische Handlungsanweisungen, welche den Prinzipien des Ehrbaren Kaufmanns entsprachen in ihre Handelsbücher. Von Luca Pacioli, Franziskanermönch und Mathematiker, dem Erfinder der doppelten Buchführung ist folgender Satz bekannt: „Es gilt nichts höher als das Wort des guten Kaufmann und so bekräftigen sie ihre Eide: Bei der Ehre des wahren Kaufmanns. Dieser Eid wurde auf Grundlage christlicher Prinzipien verbindlich angesehen. Zuwiderhandlung kostete Ehre und Vertrauen – beides vernichtend für das Geschäft.

Im Laufe der Zeit wurde also nördlich und südlich der Alpen ein Charakter heraus geformt, der den Grundsätzen des ordentlichen Kaufmanns entspricht. Als wichtigste Tugend galt Demut vor Gott. Trotz des Rückgangs des kirchlichen Einflusses nach Reformation und Aufklärung, behielten die Kaufleute ihre eigene Religiosität bei und trugen damit ihre Prinzipien durch die Zeit. An die Stelle der ursprünglichen Gottesbezogenheit trat später der Ruf als bürgerlicher Kaufmann oder der Kaufmannsgeist. Freilich nahm später im Zuge der industriellen Revolution das Prinzip der sich selbst verpflichtenden Ehrbarkeit des Kaufmannstandes ab. Ihre Prinzipien jedoch wurden in der Folgezeit institutionalisiert, in Gesetze gekleidet, wie z.B. das Handelsgesetzbuch (1900) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (1909).

Es gilt bis heute: Die Bezeichnung „Ehrbarer Kaufmann" beschreibt das historisch in Europa gewachsene Leitbild für verantwortliche Teilnehmer am Wirtschaftsleben (Wikipedia) und ist mit folgenden Eigenschaften verbunden: Mäßigkeit, Ordnung, Bescheidenheit, Fleiß, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit, Entschlossenheit, Weitblick, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit, gesellschaftspolitische Verantwortung und Demut. Noch heute genießen in den alten Hansestädten, z.B. in der freien Hansestadt Hamburg, und natürlich auch anderswo diese Prinzipien ein hohes Ansehen.

Wir stellen fest, dass auf der Suche nach einem in der Wirtschaftswelt erprobten Wertesystem ein aufmerksamer Blick in unsere Vergangenheit genügt, um fündig zu werden. Wir stehen heute vor der Herausforderung, diese Werte für uns selbst und unsere Mitarbeiter und Geschäftspartner zu erschließen und fruchtbar zu machen, und sie auf die eigen unternehmerische Situation zu konkretisieren.

Reden wir also auch über das Thema Werte. Nach meinen Beobachtungen stellt sich bei wertorientierter Unternehmensführung wirtschaftlicher Erfolg bereits mittelfristig ein - und ein gutes Gewissen dazu.

Ihr Ulrich Bretschneider