In Zeiten des Wandels und ideologiegetriebener politischer und gesellschaftlicher Richtungskämpfe, sucht man nach einem verlässlichen Kompass, der die Richtung zum Frieden und dauerhaften Wohlstand weist. Auch in der gewerblichen Wirtschaft ist die Sehnsucht nach Integrität und Verlässlichkeit aller an der Lieferkette Beteiligten spürbar. Zurerst in Familienunternehmen, die sich mühen, ihr Unternehmen erfolgreich über die Zeit zu tragen. Die Wertefrage bleibt aktuell. Grund genug, die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns wieder neu in den Blick zu nehmen. Denn sie haben über die Jahrhunderte den wirtschaftlichen Erfolg in Europa geprägt. Entscheiden Sie für sich selbst, ob diese Tugenden heute (wieder) zu einer Ressource werden könnte, die Ihr Unternehmen und unseren Wirtschaftsstandort Deutschland neu belebt.
Nun sind Werte nicht gute Vorsätze, die man lediglich medienwirksam zu Papier bringen muss. Werte sind Lebenshaltungen, die sich in der Persönlichkeit der Menschen und in ihrem Verhalten widerspiegeln – im Privatbereich, im gesellschaftlichen Engagement und täglich im Unternehmen: Werte sind kulturprägende Prinzipien nach denen Unternehmer und Führungskräfte ihre täglichen Geschäfte führen. Es geht darum, wie man mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten umgeht und wie Maxime und Grenzen für den konkreten Fall definiert sind.
Eigentlich hätten gerade jetzt die beide Hauptkirchen die Chance, ihre auf Gottes- und Nächstenliebe gegründete Botschaft als ihre Kernkompetenz in die politische Diskussion einzubringen. Seltsamerweise herrscht dort zu diesem aktuellen Thema eine merkwürdige Ruhe, die ich zurückführe auf die Selbstbeschäftigung mit internen Themen und dem herrschenden politischen Gedankengut, der diese Organisationen prägt. Also weniger auf Freiheit und Marktwirtschaft, weniger auf dem Respekt vor Unternehmern, die im eigenem Risiko Wohlstand täglich neu erarbeiten müssen.
So bleibt es gerade Familienunternehmen vorbehalten, diese alten praxisbewährten Prinzipien über die Zeit zu tragen, bzw. wiederbeleben: Die Tugenden des Ehrbaren Kaufmanns. Der Blick auf den Ursprung lohnt:
Der Begriff „Ehrbarer Kaufmann“ wurde erstmals vom Lübecker Bürgermeister und Hansekaufmann Hinrich Castorp (1420-1488) auf einer Tagung der Hanse geprägt. Mit Verweis auf die Einhaltung der Zehn Gebote ermahnte Castorp die Vertreter des freien Städtebündnisses, ihren Handel stets ehrbar, also im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott zu betreiben, letztlich auch der Wahrung des eigenen nachhaltigen Wohlstands wegen. Denn damals bis ins hohe Mittelalter hinein hatte der Beruf des meist nicht sesshaften, schutzlos lebenden Kaufmanns einen denkbar schlechten Ruf, der auf die Verurteilung der Zinsnahme durch Staat und Kirche zurück ging (z.B. Lukas 6,35: Liebt eure Feinde, tut Gutes und leiht, wo ihr nicht dafür zu bekommen hofft“). Aus Sorge um die eigene Existenz und dem Schutz vor Machtmissbrauch seitens der Herrschenden schlossen sich allmählich Kaufleute zusammen, entwickelten eigene Beweis- und Gerichtsverfahren gestalteten einen Verhaltenskodex, der von jedem Mitglied einzuhalten war. Auf diese Weise wandelte sich der uneinheitlich agierende, reisende Kaufmann zum ehrbaren, sich in Gilden organisierten Kaufmann, der auch den Städten zu Wohlstand und Machtzuwachs verhalt.
Erst im hohen Mittelalter, das war auch die Zeit der großen italienischen Handelsstädte, erfuhr das Evangelium durch Thomas von Aquin eine neue Interpretation, die man auch als Geburtsstunde des Kapitalismus ansehen könnte: Er war der Meinung, dass die Leihe von Geld ein Risiko darstellt, das angemessen honoriert werden müsste und rechtfertigte einem angemessenen Gewinn für die Investition von Geld in eine geschäftliche Gelegenheit, selbst wenn dies nicht mit persönlichem Arbeitseinsatz verbunden war. Thomas von Aquin betonte dabei immer die Sozialpflicht von Kapitalgewinnen zu Gunsten von Armen und Kranken. Dies fand reichlich Niederschlag in Spenden und Stiftungen der Kaufleute, ja sogar in Gott zugedachte vorrangig zu bedienende Kapitalkonten des eigenen Unternehmens!
Etwa gleichzeitig schrieben auch die großen italienischen Handelsstädte praktische Handlungsanweisungen, welche den Prinzipien des Ehrbaren Kaufmanns entsprachen, in ihre Handelsbücher. Von Luca Pacioli, Franziskanermönch und Mathematiker, dem Erfinder der doppelten Buchführung, ist folgender Satz bekannt: „Es gilt nichts höher als das Wort des guten Kaufmanns“. Und so bekräftigen sie ihre Eide: Bei der Ehre des wahren Kaufmanns. Dieser Eid wurde auf Grundlage christlicher Prinzipien verbindlich angesehen. Zuwiderhandlung kostete Ehre und Vertrauen – beides vernichtend für das Geschäft.
Im Laufe der Zeit wurde also nördlich und südlich der Alpen ein Charakter herausgeformt, der den Grundsätzen des ordentlichen Kaufmanns entspricht. Als wichtigste Tugend galt Demut vor Gott. Über Reformation und Aufklärung hinweg behielten die Kaufleute ihre eigene Religiosität bei und trugen damit ihre Prinzipien durch die Zeit. An die Stelle der ursprünglichen Gottesbezogenheit trat später der Ruf als bürgerlicher Kaufmann oder der Kaufmannsgeist. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hat diese selbst verpflichtende Ehrbarkeit das Geschäftsleben geprägt, sichtbar z.B. im verbindlichen Handschlag. Diese Prinzipien wurden in der Folgezeit institutionalisiert, in Gesetze gekleidet, wie z.B. das Handelsgesetzbuch (1900) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (1909).
Es gilt bis heute: Die Bezeichnung „Ehrbarer Kaufmann“ beschreibt das historisch in Europa gewachsene Leitbild für verantwortliche Teilnehmer am Wirtschaftsleben (Wikipedia) und ist mit folgenden Eigenschaften verbunden: Mäßigkeit, Ordnung, Bescheidenheit, Fleiß, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit, Entschlossenheit, Weitblick, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit, gesellschaftspolitische Verantwortung und Demut.
Wir stellen fest, dass auf der Suche nach einem in der Wirtschaftswelt erprobten Wertesystem ein aufmerksamer Blick in unsere Vergangenheit genügt, um fündig zu werden. Wir stehen heute vor der Herausforderung, diese Werte gesellschaftlich und für uns selbst, unsere Mitarbeiter und Geschäftspartner fruchtbar zu machen.
Meiner Erfahrung nach ist eine wertorientierte Unternehmensführung in diesem Sinne eine wesentliche Voraussetzung für dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg und wird damit zur bilanzierbaren Ressource – Kopierschutz inklusive.